Wenn eine große Unternehmensberatung eine Studie zum Bankensterben erstellt, dann sollte man zweimal hingucken:
Was hier in den ersten Zeilen steht, ist zweifelsfrei richtig. Doch der letzte Absatz scheint wohl mit Vorsicht zu genießen sein – oder aber wurde vom Spiegel schlecht recherchiert.
Wer die Digitalisierung dafür verantwortlich macht, dass Banken schließen, der kennt die Branche nicht.
1. Seit Einführung der Geldautomaten kämpfen die Banken um den Kunden und bekommen ihn doch nicht zu Gesicht (verschiedenste Konzepte waren mehr oder minder erfolglos)
2. Die häufige Fokussierung auf eigene Produkte, entspricht nicht mehr dem Zeitgeist (Kunden wollen die besten Produkte für ihre Bedürfnissituation und sind längst bereit, Produkte mehrerer Anbieter zu nutzen)
3. Die wirklichen Bedürfnisse der Kunden wurden über Jahre ignoriert (bei gleichzeitiger Fokussierung der Banken auf die Produkte, die mehr Ertrag für die Bank erwirtschaften, wurde kein Kundenvertrauen gewonnen)
4. Die Parole „Geiz ist geil“ stammt eigentlich vom Elektronikriesen Saturn und wurde 2002 breit propagiert. Die Kunden haben dies aber nicht nur für CD-Player genutzt, sondern auch für Finanzdienstleistungsprodukte. Direktbanken haben diesen Trend genutzt (Halbierung von Ausgabeaufschlägen bei Fonds, Sonderangebote für Wertpapiertransaktionen), an Einfluss gewonnen, während klassische Banken außen vor blieben.
5. Skandale und Strafzahlungen bei klassischen Banken, auch medienwirksame Prozesse wegen Falschberatung, haben das Vertrauen in die Schlipsträger schwinden lassen. Skandale um Bonizahlungen umso mehr.
6. Die Aufgeschlossenheit der Kunden, auch der Mut, lieber das falsche Produkt selbst zu kaufen (dafür aber preisreduziert), als falsch beraten zu werden und dafür noch teuer bezahlen zu müssen, hat die Kundenkontakte für klassische Banken weiter reduziert (und an den Börsen erfolgreiche Kunden haben ihre Freunde zu „Followern“ gemacht und den Direktbanken in die Arme getrieben.
7. Klassische Banken haben den Laptop und das Smartphone unterschätzt. Als Direktbanken schon längst digitale Kundenservices boten, bastelten klassische Banken noch lange am Onlinebanking (das die Kunden von jungen Unternehmen längst kennen- und schätzengelernt hatten). Und der Trend geht weiter. Innovationen kommen noch zu selten von den großen Filialbanken.
8. Das massive Schließen von Filialen hat den Kontakt vor allem zu älteren (=vermögenderen) Kunden erschwert. Ihre Kinder haben ihnen Direktbanken und Bankingapps gezeigt und plötzlich wird die Filiale auch weniger gebraucht.
9. Klassische Filialbanken haben nicht nur in den Frankfurter Zentralen, sondern in jeder Filiale einen riesigen Wasserkopf. Der direkte Vergleich zu einer Versicherungsagentur (durchschnittlich 2,5 Mitarbeiter) zeigt die Misere: Mit den Spezialisten für Wertpapier, Konsumkredit und Immobilienkredit lässt sich kaum eine Bankfiliale mit weniger als acht Mitarbeitern betreiben. Die teureren Filialplätze auf den Einkaufsstraßen und die Fürstentümer („Bezirksdirektor“, „Filialleiter“, etc) führen zu einer Gesamtkostenquote, die mit deutlich weniger Kunden nicht mehr zu erwirtschaften sind.
10. Nachdem viel Schindluder mit Bankkunden getrieben wurde (natürlich ist nicht jeder Banker ein schwarzes Schaf, aber es gab nunmal zu viele Fehlberatungen), wurden die regulatorischen Anforderungen national und auf europäischer Ebene in mehreren Schritten gesteigert. Die Anforderungen sind so hoch, dass sie ohne IT-Unterstützung nicht mehr zu bewerkstelligen sind (das kostet Geld und dauert lange). Zeitgleich war der Dokumentationsaufwand pro Kunde so hoch, dass ein guter Kundenberater im Wertpapiergeschäft keine Chance hatte, mehr als drei Kundengrspräche pro Tag zu führen (hohe Ressourcenbindung, geringe Ertragsauswirkung).
12. Lange Anstellungsverhältnisse (kaum junge Mitarbeiter, viele langjährige Angestellte), lange Kündigungsfristen, hohe Abfindungsforderungen machen Restrukturierungen in Banken (das ist in Versicherungen nicht anders) extrem teuer und verlangsamen die zwingend notwendige Neuausrichtung an den deutlich veränderten Kundenbedürfnissen. Gewerkschaften und Betriebsräte verstärken den Effekt, in dem sie an liebgewonnenen Traditionen festhalten und Mitarbeiter schützen.
Aber das Kernproblem ist nicht die Digitalisierung, sondern die Tatsache, dass sich die Kunden und ihre Lebensumstände massiv geändert haben. Welcher Kunde kann schon zwischen 8.00 und 16.00 Uhr in die Filiale kommen? Die Kunden, die Banken haben wollen, jedenfalls nicht.
Die Digitalisierung ist also nicht das übel, sondern eine Riesenchance für die Branche, um ihr Terrain zurückzugewinnen.
Tut sie das nicht (oder nicht schnell genug), macht sie (indem sie sich im Kreis um interne Probleme drehen) den Weg frei für Fintechs, Direktbanken, Auslandsbanken aber auch branchenfremde Unternehmen, wie Alphabet (google.de) oder Apple. Letztere sind finanzstark und innovativ genug, um nicht nur Banken zu übernehmen (und damit ihre Kunden und deren Anlagevermögen), sondern wissen bereits, wie Kundenorientierung im 21. Jahrhundert funktioniert: Digital! Und nur in Ausnahmefällen noch persönlich.
Bestes Beispiel ist Amazon. In UK und USA bietet der Online-Store seinen Händlern bereits Kredite an. Ein Immobilienkredit von Amazon klingt abwägig? – Mag sein, aber wie kaum ein anderer hat Amazon den Überblick: Sie wissen genau, wie oft ein Kunde in den letzten Jahren ungezogen ist, ob er/sie eher Kleinkram kauft oder hochwertige Produkte, sie haben oftmals einen Überblick über verschiedene Bankkonten und auch die Kreditkarten. Sie können anhand der Zahlart und der Information, ob es Rücklastschriften gab oder häufig Ware umgetauscht wurde die Kreditfähigkeit auf ganz andere Weise beurteilen, als das Banken können (sie haben nämlich zumeist nur Einblick in ein Bankkonto und wissen nicht im Geringsten, was der Kreditinteressent auf anderen Konten alles treibt…
Nokia hat sich vom Gummistiefelhersteller zum Handyanbieter gewandelt und nur so überleben können. Mannesmann (einst größter Hersteller von Stahlröhren weltweit) wurde zum Mobilfunkkonzern.
Wer den Kunden aus den Augen verliert, wird sterben. Darum erneuern sich die Zellen des menschlichen Körpers auch laufend. Und das ist gut so.
Es stellt sich also die Frage, wer diese Studie finanziert hat – und mit welchem Ziel…