Jedes Jahr gibt es diese Buzzwörter. Schon seit einigen Jahren gehört das Wort „Digitalisierung“ dazu. Spätestens seit es CDO’s (Chief Digital Officers) in Unternehmen gibt, spricht man gerne und medienwirksam über die Digitalisierungsstrategien von Unternehmen.
Und in der Tat, gerade in der Finanzdienstleistungsbranche wäre man gerne digitaler, als man es tatsächlich ist. Insofern steht „Digitalisierung“ zeitgleich für „Innovation“.
Doch wo sind die großen Innovationen der Finanzdienstleistungsindustrie? Versicherer feiern sich, weil sie nun Online-Portrale haben, in denen sich jeder Kunde registrieren kann und so auf alle seine Verträge zugreifen kann. Neu? Mitnichten! Wer schon einige Jahre Amazon-Kunde ist, der weiß genau, dass alle jemals getätigten Käufe beim Onlinehändler mit Preis und Datum und Produktbeschreibung und Garantielaufzeit jederzeit online zur Verfügung stehen. Schon seit vielen vielen Jahren.
Gleiches Bild bei Banken: Moderne Zugriffe auf Konten und Depots, via Browser oder schicker Smartphone-App. Das bieten mittlerweile alle. Richtig digital sind die Produkte dahinter aber nicht. Spätestens wenn es um eine Baufinanzierung oder eine Anlageberatung geht, kommt man irgendwann am klassischen Formular nicht vorbei. Wie vor 30 Jahren. Oder nehmen wir modernste Vermögensverwaltungskonzepte: Spätestens wenn es um das Pflichtreporting geht, werden uralte Maschinen gestartet und blockieren über Stunden die Großrechnersysteme am Wochenende.
Digitalisierung ist somit häufig Kosmetik: Von außen aufgetragene Schminke. Doch hinter den Kulissen werden verschiedene Altsysteme weiterhin zusammengestöpselt, weil alle Institute die große Neuinvestition scheuen. Und so werden selbst dann, wenn regulatorische Anforderungen dazu zwingen neue Services in Altsysteme zu implementieren lieber weiter neue Insellösungen/Workarounds geschaffen. Dabei ließe sich mittelfristig die Komplexität reduzieren, die Systemabhängigkeiten deutlich zurückfahren und die Geschwindigkeiten der Systeme erhöhen – bei gleichzeitiger Flexibilisierung der Services für den Endkunden und den Vertrieb.
Eine neue Maske macht aus einem alten Menschen eben doch keinen lernfähigen Grundschüler.
Was heisst das: Die großen Innovationen, also diejenigen, die den Begriff „Digitalisierung“ wirklich verdienen, liegen noch vor uns. Spannende Zeiten also. Auch und vor allem, weil mittlerweile manches Altsystem bis an seine Leistungsgrenzen ausgeschöpft ist. Ein Wettlauf mit der Zeit. Und ein Wettlauf mit jungen Startups, die auf der grünen Wiese neue IT-Landschaften entwickeln und zur Marktreife bringen können – und dann echte Wettbewerbsvorteile bieten.